15. Oktober 2023

In-Season Strength Training

Autor: Alexander Borgs, MS, TSAC-F

In Spielsportarten, besonders Kontakt- und Kollisionssportarten (z.B. Fußball, Basketball, Handball, American Football) aber auch in Einzelsportarten, bedarf es der Pflege von Kraftqualitäten zur Leistungsverbesserung und zur Optimierung der Verletzungsresilienz. In-Season Strength Training, also das Krafttraining in der Wettkampfperiode, als Bestandteil verschiedener Einzel- und Teamsportarten ist und bleibt ein heiß diskutiertes Thema. Wie mit so vielen Themen in der Sport- und Trainingswissenschaft, Praxiserfahrungen von Coaches und Präferenzen der Athlet*innen gibt es viele richtige Antworten. Grundsätzlich bleibt In-Season Strength Training ein Muss für viele Coaches und Athlet*innen, um die “Gains” oder Leistungszuwächse der Vorbereitungsperiode, oder Off-Season, nicht zu verlieren.

‍Die Saison Maximieren

Die Wettkampfperiode ist eine Zeit, die in Bezug auf Leistungssteigerung, Bewegungsoptimierung und Erholung maximiert werden sollte. Wie bereits erwähnt, möchten keine Athlet*innen Laufe der Saison schwächer werden und damit eine potentielle Leistungsminderung oder Verletzung riskieren. Genauso wenig möchte ein Coach die Leistungszuwächse, die durch harte Arbeit und großes Zeitinvestment in der Vorbereitungsperiode erreicht wurden, schwinden sehen, sondern eher bestimmte Qualitäten weiter ausbauen. Beispielsweise, würden es Weltklassesprinter*innen nicht gerne in Kauf nehmen, wenn sie im Laufe der Saison langsamer würden, nur weil bestimmte Trainingskomponenten nicht ausreichend gefördert wurden (noch würde der Coach seinen oder ihren Job lange behalten). Die Zeit in den meisten Wettkampfperioden ist aufgrund von Team- und Einzeltrainings, Meetings, Reisen usw. sehr knapp. In den meisten Sportarten dauern diese oft mehrere Monate an. Es gilt es also zu identifizieren, welche Qualitäten in einem sportartspezifischen Strength & Conditioning Programm besonderem Fokus bedürfen, um eine solch wertvolle und lange Phase als Teil eines Jahresplans bestmöglich zu nutzen. Manche Sportartarten haben eine längere Vorbereitungsperiode, andere wiederum kürzere. Im American Football bereitet man sich etwa drei viertel des Jahres vor, um ein viertel des Jahres den Sport zu auszuüben. Andere Sportarten haben noch längere Saisons und eine dementsprechend kürzere wettkampffreie Zeit. Diese erhöhen das Risiko eines Leistungsabfalls natürlich deutlich, wenn essentielle konditionelle Fähigkeiten vernachlässigt werden. Sportsspezifische Bewegungsmuster und konditionelle Fähigkeiten (z.B. Schnelligkeit, Agilität, Sprungkraft, spez. Ausdauer) werden oft bereits durch Teamtraining, Technik- und Taktikeinheiten (z.B. Sprinten, Richtungswechsel, Springen/Landen, kurze Pausen, ‘Small-Sided Games’) in einem erhöhten Umfang und oft bei Wettkampfintensität abgedeckt. Was bleibt sind Krafttraining und Regeneration als stärkende, stabilisierende und sichernde Elemente für die Gewebe, Gelenke und Knochen. Krafttraining und dessen Methoden (z.B. Umfang, Intensität, Erholung) wurden dank der Zusammenarbeit von Wissenschaft und S&C Coaches weltweit mittlerweile so verfeinert, dass es während der Wettkampfphase nicht nur beim Erhalt von Leistungs bleibt, sondern dass diese kontinuierlich gesteigert werden kann. Essentiell sind und bleiben die Belastungssteuerung seitens des Coaches sowie das Coach-Athlet Verhältnis und deren Kommunikation über Training, Belastung und Erholung. Seitens der Athlet*innen bedarf es einem Verständnis gegenüber der Wichtigkeit des Krafttrainings und der Erholung aber auch darüber, beides aus eigenem Interesse beständig zu verfolgen. Diese Bedeutung verständlich und überzeugend an Athlet*innen zu vermitteln ist wiederum die Aufgabe des Coaches. Letztendlich kommt nach der Saison auch wieder die nächste Saison. Wenn dann all das, was über die Saison verloren gegangen ist wieder aufgeholt werden muss, war die Arbeit des Vorjahres umsonst. Im Leistungssport und jenseits dessen werden solche Aufholversuche in folgenden Wettkampfperioden nicht verziehen.

Das Krafttraining Isolieren

In der Off-Season wird in vielen Sportarten durch Abwesenheit des Wettkampfes der tatsächliche Sport, und somit die Nutzung sportspezifischer Bewegungsmuster und konditioneller Fähigkeiten, oftmals heruntergefahren. Mit dem Strength & Conditioning Programm versucht der S&C Coach diese zu replizieren, um sie weiterzuentwickeln und zu festigen. Dies ermöglicht den Athlet*innen ihren jeweiligen Sport effektiver, sicherer und länger auszuüben. Die In-Season Arbeit wird also aufgrund o.g. Gründe um einiges simpler für Coaches, da sie sich “nur” noch um das Krafttraining und die Erholung der Athleten kümmern müssen. Diese müssen selbstverständlich auf die Anforderung des Sports, Erfahrung und Präferenzen des/der Athlet*innen angepasst werden. Denn es gilt: das beste Trainingsprogramm ist das, was am besten und beständigsten von Athleten angenommen und umgesetzt wird. Dies ist besonders wichtig in Umfeldern, wo die Teilnahme am Krafttraining keine Pflicht ist, anders als z.B. im US College Sport. Dafür bedarf es wiederum besondere Kommunikationsfähigkeit, Fachkompetenz, Feinfühligkeit und Empathie, sowie eine große “Werkzeugkiste” des Coaches, um stets die besten Lösungen für jeden Athleten und Moment finden zu können. Wir Menschen sind nämlich keine Maschinen. Umwelteinflüsse (also Stress, in all seinen Formen) können Leistung, Erholung und Gesundheit maßgeblich beeinflussen, gut wie schlecht. Daher sollten auch anderweitige Trainings- und Alltagsbelastungen (inkl. psycho-soziale und psycho-emotionale Faktoren) vom Coach berücksichtigt werden. Dies hat mehr mit zwischenmenschlichem Verständnis und non-verbaler Kommunikation zu tun als mit Sätzen und Wiederholungen. Soziale und emotionale Faktoren werden in der Saison natürlich besonders beansprucht aufgrund von Leistungsdruck, zeitlichen Engpässen, persönlichen Befindlichkeiten usw. Um in solchen Perioden Fortschritt im Krafttraining zu machen, Gesund zu bleiben (körperlich und mental), kann man als Coach verschiedene Dinge tun (dies sind Vorschläge für Rahmenbedingungen und bedürfen genauer Planung unter Berücksichtigung von Athlet, Sport, Zeitplan usw.):

1. im Krafttraining an den Grundlagen in Sachen Bewegungsmustern und Kraftaufbau (z.B. Maximalkraft & Schnellkraft, je nach Sportart) festhalten (inkl. bilateral, unilateral & alle drei.
   Bewegungsebenen) – ‘fancy’ kostet Zeit und Nerven,
2. den Fokus auf Bewegungsqualität nicht Quantität des Widerstands oder der Übungsvielfalt legen,
3. Krafttrainingseinheiten effizient und effektiv planen

  • 2-3 ‘Main Lifts’ + Zusatz (Prehab, Schwachstellen – individuell);  max. 30 min inkl. Warm-Up
  • 2-3 x Einheiten / Woche
  • submaximaler Trainingsansatz (< 100% RM)
  • kurze Erholungsphasen im Krafttraining können zudem eine weitere Ausdauerkomponente liefern (z.B. Supersätze, Intraset Work/aktive Pausen)
  • Fokus auf ‘Completion’ anstatt auf ‘forcierten Fortschritt’

4. die Athleten in simplen und autarken Erholungstaktiken und Ernährungstrategien lehren aka ihnen passende Werkzeuge an die Hand geben (kurze Lektüren, Infographics per Handy etc.)
5. Belastungssteuerung via subjektiver Session RPEs (rates of perceived exertion) und kurze Feedback-Gespräche

Und was ist mit CrossFittern & kompetitiven Functional Fitness Sportlern?

Auch hier ist gezieltes In-Season Strength Training, wie in Spielsportarten, höchst relevant. Obwohl in der wettkampforientierten Functional Fitness mehr als nur die Fitnessqualität ‘Kraft’ abgefragt wird, kann ein Athlet auch hier nie stark genug sein und sollte nicht bis zur Off-Season warten Kraft (wieder) aufzubauen. So wird ein ‘Benchmark’ Workout wie z.B. ‘Fran’ im CrossFit leichter, alleine wenn man stärker ist – ob in der Kniebeuge, der Overhead Press oder in den Klimmzügen. Am Beispiel der ‘Kipping Pull-Ups’, sollte in der Saison etwa nicht ausschließlich das ‘Kipping’ trainiert oder an diesem gefeilt werden, da dieses Bewegungsmuster zur Genüge im Wettkampf abgefragt wird. Dies kann schnell zur Überbeanspruchung der Gewebestrukturen führen, ähnlich wie der Richtungswechsel in Spielsportarten. Daraus können wiederum Verletzungen entstehen. Stattdessen könnten verschiedenste strikte Oberkörperzugbewegungen trainiert werden (z.B. Chest-Supported Rows, Upright Rows, Towel Pull-Ups), um die gesamte Zugmuskulatur und Griffkraft zu stärken. Technikarbeit und Bewegungseffizienz sind größtenteils für die Off-Season, da dort mehr Zeit und Nerven für komplexere Bewegungsmuster, oder in Teams z.B. für Synchronisation, aufgewendet werden kann (Reminder: ‘fancy’ kostet Zeit und Nerven). Dieses Prinzip kann auf jede ‘kraftbezogene’ Übung angewendet werden. Gewichtheber*innen trainieren schließlich nicht nur das Reißen, um im Reißen besser zu werden…

Kein Athlet oder Spielsportler? Kein Problem!

Im Alltag ist immer Saison. Das Leben macht uns von ganz alleine schwächer durch ganz natürliche biologische Prozesse. Diese können wir nicht stoppen aber wir können ihnen zumindest entgegenwirken. Man muss keinen Sport ausüben, um wie ein Athlet zu trainieren. Das Leben verlangt uns dauerhaft athletische Fertigkeiten ab, was uns schlussendlich alle auf ganz individuelle Weise zu Athleten macht. Sei es die Körperhaltung beim Heben und Tragen in Haushalt und Garten oder beim Sitzen am Schreibtisch (Krafttraining), das Fangen spielen mit Kindern (Richtungswechsel, Springen, Landen), Stolpern oder ausrutschen und sich wieder fangen (Rotation, Koordination, Propriozeption), Bücken, Stürzen und wieder aufstehen (Beweglichkeit, Stabilität, Widerstandsfähigkeit). All diese konditionellen Fähigkeiten werden durch Strength & Conditioning abgedeckt und bereitet auf den Alltag und all seine Herausforderung vor. Somit sollte man nicht denken, dass nur Leistungssportler von S&C profitieren können. Every Day is Competition: Me versus Me.

Zusatz: Die Meinungen und Aussagen in diesem Blog sind Erfahrungswerte des Autoren. Dieser ist gerne bereit sich darüber auszutauschen und durch die Meinung anderer erfahrener Athleten und Coaches inspiriert und bereichert zu werden.
Wir bedanken uns ganz besonders bei
 Noël Brand und Breda Strength & Conditioning (NL) für das großartige Fotomaterial.

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